Deeskalation in der Selbstverteidigung
Deeskalation ist ein sehr wichtiges Instrument im Bereich Selbstverteidigung. Wie bereits erwähnt: Ein vermiedener Kampf ist ein gewonnener Kampf. Wie aber kannst du mögliche gewalttätige Angriffe und Eskalationen vermeiden? Auch wenn es keine Standardantwort gibt und die Lösung immer abhängig von der Situation ist, so gibt es doch eine Reihe von Möglichkeiten.
Bleibe entspannt und neutral
Viele von uns haben das erlebt. Potentielle Täter verhalten sich provokant, aggressiv oder beleidigend. Die Aggression des Täters spiegelt sich in seiner Sprache und seinem Verhalten wider. Noch haben keine körperlichen Angriffe stattgefunden. Und das soll auch so bleiben. Das wichtigste Prinzip lautet in so einem Setting: Lass dich nicht provozieren. Denn das ist exakt das, was Täter häufig - bewusst oder unbewusst - wollen.
Ganz im Gegenteil, bleibe möglichst ruhig und gelassen. Nehmen wir ein Beispiel: Du stehst in einer überfüllten engen Räumlichkeit: U-Bahn, Bus, Aufzug, Club etc. Jemand fühlt sich von dir beispielsweise ungerechtfertigter Weise weg gedrängt und spricht dich beleidigend an. Jetzt hast du die Chance, die Situation zu deeskalieren.
Nicht das aggressive Verhalten des Angreifers spiegeln
Spiegele nicht das Verhalten des Angreifers, in dem du ebenfalls beleidigend wirst oder drohst, sondern bleibe ruhig und spreche ruhig. Halte dich kurz, z.B. "Sorry, kein Grund zur Beleidigung, war keine Absicht". Natürlich fällt es manchmal schwer, seine Emotionen zu kontrollieren. Aber vergiss nicht, dass jeder körperliche Konflikt Konsequenzen für dich haben kann. Wie etwa nach einer Auseinandersetzung vor Gericht entschieden wird, ist nicht immer von vornherein klar. Häufig haben wir mitbekommen, dass Täter, die als erstes angegriffen haben, sogar die Opfer anzeigen. Sie versuchen, die Wahrheit zu verdrehen. Zudem sollte man seine Gegner nie unterschätzen. Mehr dazu haben wir bereits hier geschrieben ...
Auch gerechtfertigte Gegenwehr kann eine Sackgasse sein
Es gibt auch Fälle, in denen sich die "Opfer" gerechtfertigterweise gewehrt haben und anschließend von Zeugen attackiert wurden. Warum? Weil die Zeugen die Situation falsch wahrgenommen haben und Verwechslungen stattfanden. Sie dachten, das Opfer sei der Täter. Im Klartext heißt das: Vermeide den Kampf. Denn alles kann passieren. Kannst du den Kampf nicht vermeiden, verteidige dich angemessen und hart.
Trainiere Situationen in deinem Kopf
Ein gutes Selbstverteidigungstraining wird möglichst realitätsnah gestaltet. Doch Angriffe können in der Realität in den unterschiedlichsten Formen, Situationen und Intensitäten sowie an den verschiedensten Orten stattfinden. Nicht jeder potentielle Angriff kann genau so trainiert werden, wie er etwa in deinem alltäglichen Leben auftreten könnte. So ist es möglich, dass du bereits potentielle Täter kennst, z.B. ein ständig betrunkener, aggressiver Nachbar. Oder aber du bist in einer bestimmten beruflichen Situation, die immer wieder typische Angriffe hervorruft. So haben wir beispielsweise unzählige Notärzte, Rettungssanitäter, Polizeibeamte, Krankenpfleger, Feuerwehrleute etc. trainiert, die - man mag es kaum glauben - immer wieder während ihrer Arbeit provoziert oder tätlich angegriffen wurden. Um so besser ist es, wenn du auf Grundlage verschiedener hier vorgestellter Taktiken entsprechende Lösungen gedanklich für dich durchspielst. Wesentlich besser ist natürlich ein realitätsnahes, zugeschnittenes Training in deinem spezifischem Umfeld.
Höre zu, bleibe ruhig und finde Lösungen
Klingt erst einmal sehr theoretisch. Funktioniert aber, wenn es die Situation zulässt. Nehmen wir ein Beispiel. Du parkst dein Auto. Kaum bist du ausgestiegen, kommt jemand auf dich zu und schreit dich an. Nun gibt es die Möglichkeit, dass du ihn ebenfalls anschreist und die Situation eskaliert. Genau das versuchen wir jedoch zu vermeiden. Hör der Person zunächst zu. Halte, wie immer, nach Möglichkeit einen Sicherheitsabstand, so dass die Person dich weder mit Punches noch Kicks schnell treffen könnte. Wir sprechen hier von mindestens 2 Metern. Scanne schnell die Umgebung. Eventuell sind weitere potentielle Mittäter um dich herum. Bleibe ruhig und finde eine Lösung. Eine Antwort könnte sein: "Ich hab Sie wirklich nicht gesehen, aber da drüben sehe ich auch noch freie Parkplätze. Einigen wir uns darauf, dass einer von uns dort rüber fährt, ok?" All das ist besser, als einen vermeidbaren körperlichen Konflikt einzugehen oder nach zwei Stunden zum Auto zurückzukehren und es mit aufgestochenen Reifen vorzufinden. Achte unbedingt darauf, dass du während der Kommunikation deine Hände oben hast, z.B. indem du ruhig gestikulierst. Das ist sehr wichtig, denn dadurch kannst du deine Hände wesentlich schneller für Verteidigungen einsetzen, etwa dann, wenn der Angreifer plötzlich zuschlägt. Natürlich lassen sich nicht alle Konflikte verbal lösen, aber einige.
Wenn notwendig, sehr dominant auftreten
Um zu verdeutlichen, was gemeint ist, nehmen wir folgendes Beispiel: Eine Frau läuft die U-Bahn- Station entlang. Ein fremder Mann berührt die Frau unsittlich. Dieses erniedrigende Verhalten kann dazu führen, dass das „Opfer“ innerlich in einer Art Schock erstarrt und voller Wut und Furcht weiterläuft. Absolut verständlich. Doch manche Täter fühlen sich durch so eine Reaktion bestätigt. Die Gefahr besteht, dass der Täter die Person verfolgt und weitere Übergriffe folgen.
Sofortige, eindeutige, lautstarke Reaktion
Lösung: Der Täter hat dich berührt? Drehe dich sofort um, nimm deine Hände hoch, um dein Gesicht zu schützen, halte Abstand und schreie den Täter sehr dominant an: „Fassen Sie mich nicht an, halten Sie Abstand, ich zeige Sie an“. Entferne dich von dem Bereich und rufe die Polizei. Ja, sieze den Täter unbedingt. Die Empirie zeigt, dass dies möglichen Zeugen und Helfern signalisiert, dass ihr euch nicht kennt.
Den Täter danach anzeigen
Eine Anzeige ist absolut ratsam. Natürlich ist das mit Aufwand verbunden, aber solchen Tätern sollte man das Feld generell nicht überlassen. Warum du dich nicht umdrehen und sofort zuschlagen solltest? Weil es sein kann, das du dich damit in größere körperliche Gefahr bringst. Außerdem, auch wenn die Wut verständlich ist, schadest du dem Täter mehr durch eine Anzeige. Und wenn die Beweise nicht für eine Anzeige ausreichen sollten, z.B. mangels Zeugenaussagen, Aufnahmen einer Überwachungskamera etc., wird es auch rechtlich schwierig, mit harten Attacken gekontert zu haben. Denke immer daran, auch der Täter kann ein Interesse daran haben, dich anzuzeigen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Hilfe holen
So einfach es auch klingt: Hole notfalls Hilfe. Sei dir nicht zu schade dafür. Beispiel: Du bist mit einer Freundin im Club. Drei Personen sind neben dir, aggressiv und betrunken. Es kommt zu einem Wortgefecht und deine Menschenkenntnis sagt dir, dass ein körperlicher Konflikt in Kürze unvermeidbar ist. Ihr verlasst den Bereich, doch die Personen folgen euch. Lösung: Sprecht die Türsteher an, bleibt ruhig und höflich, schildert die Situation. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. All das sind nur Beispiele. Klar kann es sein, dass den Türstehern das völlig egal ist. Fest steht jedenfalls, dass du damit schon die ersten Zeugen hast, die notfalls leicht ausfindig zu machen wären. Fest steht auch, dass manche in solchen Situationen viel hilfsbereiter sind als vielleicht vermutet.
Respektiere den Freiraum anderer
Personen, die eher zu Aggression neigen, nehmen häufig mangelnden räumlichen Abstand besonders deutlich wahr. Sensibilisiere dich generell für eine ausreichende Distanz zu anderen, aber vermutlich hast du das längst. Manchmal vergessen wir das jedoch. Wenn du z.B. an einer überfüllten Bar stehst und das Gedränge groß ist, bleibe wachsam für die Reaktionen der Menschen um dich. Je frühzeitiger du Gefahrensituationen erkennst, desto besser.
Vermeide Körperkontakt
Jeglicher Körperkontakt zu Fremden sollte vermieden werden. Klar, manchmal geht es nicht anders. Zum Beispiel in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gruppenansammlungen. Lass es ebenso nicht zu, dass dich jemand wegstoßen oder greifen kann. Wenn dich beispielsweise jemand an der Kleidung festhält, ist das immer eine Form von Kontrollmöglichkeit für den Täter. Wird man in gewisser Weise kontrolliert, sind freie Verteidigungsbewegungen schlechter durchführbar. Handele am besten so präventiv wie möglich.
Vermeide kritische Situationen
Dieser Tipp ist einer der wichtigsten. Erkenne Gefahren so gut es geht im Vorhinein und leite präventive Maßnahmen ein. Gerne helfen wir dir hier mit einem weiteren Beispiel: Du sitzt in der U-Bahn. Eine Person betritt das Abteil, sie wirkt psychisch verwirrt und steht eventuell unter starkem Drogeneinfluss. Sie läuft umher und schreit und beleidigt extrem grenzüberschreitend Fahrgäste. Dein Gefühl sagt dir, diese Person könnte auch plötzlich dich oder andere Fahrgäste attackieren. Wie ihr wisst, kommen wir aus Berlin und sind durch die vielen Fahrten zu unseren Trainingslocations permanent in der U-Bahn. Die geschilderte Situation haben wir bereits mehrfach erlebt.
Abstand halten, Nähe der Tür suchen
Wie wird nun die Reaktion der anderen Fahrgäste sein? Richtig! Fast alle Fahrgäste schauen auf den Boden oder auf ihr Smartphone. Es herrscht Schweigen und niemand will in den Konflikt geraten. Diese Reaktion ist nur teilweise sinnvoll. Es ist gut, hier keine Kommunikation mit dem potentiellen Täter zu beginnen, das würde nur seine Aufmerksamkeit auf euch lenken. Aber sollte die Person tatsächlich plötzlich angreifen und zuschlagen wollen oder sogar eine Stichwaffe ziehen, ist eine sitzende Position immer schlechter als eine stehende. Lösung: Stehe auf, sobald der potentielle Täter von dir abgewandt ist. Entferne dich möglichst weit von ihm und halte dich in der Nähe der Tür auf. Solltest du einen Gegenstand wie eine Tasche oder einen Rucksack dabei haben, nimm ihn als potentielles Schutzschild. Kommt es zu einem Angriff, kannst du ihn hervorragend einsetzen.
Ignoriere Dummheit
Du läufst beispielsweise die Straße entlang und jemand läuft an dir vorbei und beschimpft dich. Steh einfach drüber. Natürlich ist das nicht immer leicht. Vielleicht hilft dir folgendes Gedankenexperiment: Stelle dir vor, du würdest anders handeln. Du drehst dich um und beschimpfst ebenfalls die Person. Es kommt zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Du bist definitiv schneller, besser vorbereitet und mit besseren Fightingskills versehen als der Täter. Während er versucht, dich zu schlagen, triffst du ihn hart Richtung Gesicht und zwischen die Beine. Wenn du richtig harte Schläge durchführst, egal ob Mann oder Frau, und deine Treffer präzise sind, musst du damit rechnen, dass der Täter unter Umständen sogar auf der Intensivstation landet. Nun kommt es zu einem Prozess. Es mag sein, dass du eventuell strafrechtlich freigesprochen wirst. Zivilrechtlich könnten dennoch hohe Kosten auf dich zukommen.
Kluges Vorgehen schützt vor unkalkulierbaren Risiken
Wer weiß schon, wie die Situation sich entwickelt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Und wie deine Beweise vor Gericht gewertet werden. All dieser potentielle Stress und die Unkalkulierbarkeit stehen nicht im Verhältnis zu einer Beleidigung. Sollte sich aber ein Konflikt nicht vermeiden lassen, handeln wir im KRAV MAGA so hart wie notwendig. Ohne Kompromisse.